Dass es um die psychische Gesundheit der jungen Menschen nicht gut steht, ist schon länger bekannt. Ein US-amerikanischer Soziologe hat untersucht, welche Menschen mit welcher politischen Einstellung eher Probleme haben. Die Ergebnisse sind alarmierend.
Jonathan Haidt (59) ist ein sehr angesehener US-amerikanischer Sozialpsychologe, der bereits, wie viele andere auch, auf die großen Gefahren der Smartphone-Nutzung, insbesondere der Social-Media-Nutzung, hingewiesen hat.
Denn ziemlich genau zu der Zeit, als Apps wie Instagram und Facebook massenhaft und rund um die Uhr auf Smartphones zugänglich wurden, verschlechterte sich die psychische Gesundheit junger Menschen, vorwiegend junger Frauen.
In den USA sank laut der Utah State University seit Anfang der 1990er-Jahre die Suizidrate bei Teenager. Seit der Einführung der Smartphones steigt sie wieder. Besonders bei Mädchen.
Auf X (ehemals Twitter) teilte Haidt die Entwicklung der von Kliniken registrierten Selbstverletzungen von Kindern in Neuseeland und den USA. Wieder betroffen: Mädchen, von zehn bis 19 Jahren
Auch in Deutschland zeigen Daten einen Abwärtstrend um die psychische Gesundheit der jungen Frauen. Laut Statista haben sich die jährlich registrierten Fälle von Magersucht, was vor allem junge Frauen betrifft, seit der Jahrtausendwende in absoluten Zahlen fast verdoppelt, obwohl es nun weniger Kinder gibt als damals.
Nicht zuletzt die Barmer berichtet, dass sich die Zahl der Kinder und Jugendlichen, die sich psychotherapeutisch behandeln lassen, innerhalb von elf Jahren bis 2021 mehr als verdoppelt hat.
Doch es gibt ein großes Problem mit den Daten, so Haidt. Zumindest in den USA. In der auf seinem Blog abrufbaren Untersuchung teilte der US-Amerikaner die jungen Menschen anhand ihrer politischen Einstellung in zwei Gruppen: liberal bzw. linksliberal und konservativ bzw. rechts.
Haidt fand heraus, dass die psychische Gesundheit junger linksliberaler Frauen in den USA am schnellsten sank. Jungen konservativen Frauen und Männern geht es zwar auch etwas schlechter als vor zehn Jahren, aber niemand leide so sehr wie junge linksliberale Frauen. Sogar mehr als linksliberale Männer.
Es liegt nicht nur am Smartphone, sondern auch an der politischen Einstellung
Die Daten, mit denen Haidt arbeitete, stammen alle aus Selbsteinschätzungen. Es sind also keine Statistiken von Kliniken.
Die Selbsteinschätzung eliminiert damit die mögliche Erklärung, dass linksliberale Frauen sich einfach nur eher psychologische Hilfe suchen. Sie gaben von sich aus häufiger an, dass es ihnen schlecht gehe, als andere.
Es gibt laut Haidt Hinweise darauf, dass linksliberale Frauen mehr Zeit auf Social Media verbringen als konservative Frauen, doch das reichte dem Soziologen als Erklärung nicht aus.
Haidt mutmasst, dass sich linksliberale Frauen stärker engagierten, wenn es um die Entwicklung und Verwirklichung gesellschaftlicher Ideen gehe, weshalb sie sich häufiger über Social Media vernetzten.
Sie seien aufmerksamer und sensibler für Ungerechtigkeiten oder potenzielle Bedrohungen. Aber genau hier sieht Haidt das Problem.
Es schade einigen mehr, als es ihnen nützt, so Haidts Verdacht.
Sie beschäftigten sich mit Problemen und externalisieren die potenzielle Lösung. Ein Beispiel: „Das Patriarchat unterdrückt Frauen, das Patriarchat muss sich ändern.“ Das ist natürlich stark vereinfacht und dient lediglich als Beispiel.
Sowohl das Problem als auch die Lösung liegt in diesem plakativen Beispiel außerhalb des eigenen Horizonts. Es ist ähnlich wie bei einer Depression. Depressive Menschen empfinden das Leben als riesige Bedrohung, der sie nicht gewachsen sind, weil sie glauben, dass ihnen die Mittel fehlen, um sie zu bekämpfen.
Haidts Theorie ist, dass Social Media für linksliberale Frauen daher zu einer umgekehrten kognitiven Verhaltenstherapie wurde.
Social Media kann negative Denkmuster fördern
Eine kognitive Verhaltenstherapie ist eine psychotherapeutische Behandlungsmethode, die darauf abzielt, negative Denkmuster zu erkennen und zu verändern, um unerwünschtes Verhalten und emotionales Erleben zu verbessern.
Social Media zeige jedoch Probleme auf – diese sind ja auch interessant oder wichtig – aber viele davon ließen sich nicht durch das Individuum lösen, weshalb das Problem mächtig und bedrohlich erscheine und man selbst sich klein und verletzlich fühle.
Dieser Mechanismus führe Haidts Ansicht nach dazu, dass diesen jungen Frauen drei bestimmte (Un)-Wahrheiten eingetrichtert werde:
- Sie sind überzeugt, zerbrechlich zu sein und von Büchern, Rednern und Worten, die sie als Formen der Gewalt interpretieren, verletzt werden zu können.
- Sie lernen zu glauben, dass ihre Emotionen – insbesondere ihre Ängste – ein verlässlicher Wegweiser zur Realität sind.
- Sie sehen die Gesellschaft als aus Opfern und Unterdrückern bestehend, aus guten und schlechten Menschen, an.
Diese selbstentmündigenden Denkmuster und das passive Schwarz-Weiß-Denken seien Symptome von Depressionen und eine kognitive Verhaltenstherapie versuche genau die gegenteiligen Einstellungen zu erarbeiten.
Haidt schlägt vor, die Widerstandsfähigkeit der jungen Frauen, aber auch Männer zu stärken. Unter anderem hatte der Sozialwissenschaftler auf Twitter ein Smartphone-Verbot in Schulen vorgeschlagen. Auch sei der Vorschlag, Sprache und sogar Sprachsysteme zu ändern, um jedem Individuum gleiche Anerkennung zu bieten, zwar gut gemeint, mache die Menschen jedoch nicht widerstandsfähig und zu Fähnchen im Wind.
Andererseits gibt es noch einen Punkt, den Haidt außen vor gelassen hat. Armut erhöht laut einer Studie das Risiko für psychische Erkrankung um das Eineinhalb- bis Dreifache.