Yoshiro Mori

Yoshiro Mori war bis vor kurzem der Organisationschef der olympischen Spiele in Tokyo. Er soll sich beklagt haben, Frauen zögen Vorstandssitzungen in die Länge, weil sie zu viel redeten. Noch bevor er wieder Luft holen konnte, war der öffentliche Druck auf ihn so hoch, dass er seinen Hut nehmen musste. Diese Aussage sei sexistisch und frauenverachtend, so der weltweite Konsens in den sozialen Medien. Auch ich distanziere mich natürlich ausdrücklich von dieser misogynen Scheiße! Pfui!1spiegel.de (12.02.2021); Japans Olympia-Organisationschef tritt zurück; https://www.spiegel.de/sport/olympia/yoshiro-mori-olympia-organisationschef-zurueckgetreten-a-9284ac03-f238-46ad-a988-0d208fc661c6

So viel zur Hysterie. Jetzt zur Empirie.

Natürlich waren sich alle einig, dass der Yoshiro Mori ein Frauenfeind ist, aber es wurde kaum diskutiert oder klargestellt, dass seine Aussage falsch oder vielleicht sogar richtig sei. Was sagen denn die Daten?Eins vorweg. Natürlich sind die individuellen Redeunterschiede größer als zwischen den Geschlechtern und auch das Setting und der Kontext ist von großer Bedeutung, weshalb pauschale, durchschnittliche Aussagen nur schwer zu fällen sind. Beispielsweise weiß man, dass der Redeanteil von Frauen signifikant sinkt, desto mehr Männer in der Gruppe sind. Evolutionsbiologisch recht simple zu erklären: Männer streben unbewusst eher nach Macht. Das macht sie attraktiv und das ist es, was wir weitestgehend toxisch nennen. Je mehr Männer in einem Raum sind, desto knapper wird die Ressource Macht, desto intensiver der Kampf um die Wortführerschaft, in der Frau dann oft das Nachsehen hat, die eher emphatisch interagieren.2Karpowitz, C. F., Mendelberg, T., & Shaker, L. (2012). Gender Inequality in Deliberative Participation. American Political Science Review, 106(3), 533–547. https://doi.org/10.1017/S0003055412000329Frauen erweisen sich dann als redestark, wenn es nicht allein um die Durchsetzung von Interessen geht, sondern wenn es darum geht verschiedene Positionen in Übereinstimmung zu bringen. Wie etwa die Parkplatzorganisation. Aber dazu später mehr.Spielen Frauen das Spiel der Männer übrigens mit, sind sie quasi gezwungen maskuline Verhalten anzueignen, wirken dann aber aggressiver als Männer und werden eher abgelehnt. Warum? Der Kontrasteffekt. Der Referenzwert sind andere Frauen, nicht Männer.3Schenz, V. (2019, Februar 3). Job: Reden ist Macht. Süddeutsche.de. https://www.sueddeutsche.de/karriere/job-meeting-diskussion-frauen-coaching-1.4301125

Aber wie viel redet denn nun ein durchschnittlicher Mann und eine durchschnittliche Frau am Tag?

  • Eine Studie aus dem Jahr 2007 geht von 7.000 Wörtern/Tag bei Frauen aus, 2.000 bei Männern. Problem: man hat sich „nur“ auf verheiratete Paare konzentriert. In Beziehungen neigt der Mann eher zum Schweigen.4Estroff Marano. (2004, Juli 26). Secrets of Married Men | Psychology Today. https://www.psychologytoday.com/intl/articles/200407/secrets-married-men

  • Immer wieder verbreitet: 20.000 Wörter/Tag Frauen, 7.000 Männer aus dem Bestseller „The Female Brain“ (2006) von Brizendine. (großes) Problem: ich finde nichts zur Studie.5Liberman, M. (2006, August 6). Language Log: Neuroscience in the service of sexual stereotypes. http://itre.cis.upenn.edu/%7Emyl/languagelog/archives/003419.html?fbclid=IwAR3O8dPYIJELSp1f4xYt2JXpDNSJ1nXYCDA9T89zBx0_kvQsYu5TXtiVrh0

  • Ganz andere Zahlen mit transparentem Forschungsdesign: von 1998-2007 wurden ca. 400 Studenten mit Voice-Recorden ausgestattet, die nach einem Zufallsprinzip regelmässig 30 min. aufzeichneten. Diese Wörter wurden dann gezählt. Ergebnis: Frauen: 16.215 Wörter/Tag. Männer: 15.669. (Proband mit den wenigsten und den meisten Wörtern war übrigens jeweils männlich)
    Problem: fehlender Kontext. Etwa können berufliche oder situative Bedingungen die Probanden zum Reden zwingen. Zudem ist es möglich, dass bei fast gleicher Wortanzahl die Quantität (und Qualität) der Themen sich stark unterscheiden. Außerdem konnte der Rekorder manuell ausgeschaltet werden. Es gibt also zu viele Störvariablen.6Mehl, M. R., Vazire, S., Ramírez-Esparza, N., Slatcher, R. B., & Pennebaker, J. W. (2007). Are Women Really More Talkative Than Men? Science, 317(5834), 82–82. https://doi.org/10.1126/science.1139940

  • Aufschlussreicher ist deshalb folgende Studie: Man verschickte Mails an Studenten mit zwei Fragen, welche jeweils typische geschlechtliche Präferenzen berücksichtigen (Dinge/Menschen): Parkplatzneuorganisation + reflexive Begründung der Studienwahl. Das wunderbare: man konnte Parameter wie Geschlecht, Alter und Status des Mailabsenders variieren. Ergebnis: überraschenderweise kein Unterschied bei der Reflexion. Noch überraschender: Frauen machen deutlich mehr Vorschläge mit deutlich mehr Wörtern bei der Parkplatzneuorganisation. Die Forscher argumentieren, dass dies Ausdruck einer höheren Hilfsbereitschaft der Frauen sein könne (Empathie).7Brajer, V., & Gill, A. (2010). Yakity-Yak: Who Talks Back? An Email Experiment*: Who Talks Back? An Email Experiment. Social Science Quarterly, 91(4), 1007–1024. https://doi.org/10.1111/j.1540-6237.2010.00746.x

Anyway. Der arme Yoshiro Mori hat schlussendlich seinen Hut genommen, weil er etwas sagte, für das es durchaus Evidenz gibt. Es ist auch nicht überraschend. Ein fundamentaler Unterschied zwischen Männer und Frauen sind die Interessen. Mit wenig Empathie Systeme und Dinge zu beschreiben ist wesentlich einfacher als Beziehungen und Gerechtigkeit zu organisieren.

Quellen

  • 1
    spiegel.de (12.02.2021); Japans Olympia-Organisationschef tritt zurück; https://www.spiegel.de/sport/olympia/yoshiro-mori-olympia-organisationschef-zurueckgetreten-a-9284ac03-f238-46ad-a988-0d208fc661c6
  • 2
    Karpowitz, C. F., Mendelberg, T., & Shaker, L. (2012). Gender Inequality in Deliberative Participation. American Political Science Review, 106(3), 533–547. https://doi.org/10.1017/S0003055412000329
  • 3
    Schenz, V. (2019, Februar 3). Job: Reden ist Macht. Süddeutsche.de. https://www.sueddeutsche.de/karriere/job-meeting-diskussion-frauen-coaching-1.4301125
  • 4
    Estroff Marano. (2004, Juli 26). Secrets of Married Men | Psychology Today. https://www.psychologytoday.com/intl/articles/200407/secrets-married-men
  • 5
    Liberman, M. (2006, August 6). Language Log: Neuroscience in the service of sexual stereotypes. http://itre.cis.upenn.edu/%7Emyl/languagelog/archives/003419.html?fbclid=IwAR3O8dPYIJELSp1f4xYt2JXpDNSJ1nXYCDA9T89zBx0_kvQsYu5TXtiVrh0
  • 6
    Mehl, M. R., Vazire, S., Ramírez-Esparza, N., Slatcher, R. B., & Pennebaker, J. W. (2007). Are Women Really More Talkative Than Men? Science, 317(5834), 82–82. https://doi.org/10.1126/science.1139940
  • 7
    Brajer, V., & Gill, A. (2010). Yakity-Yak: Who Talks Back? An Email Experiment*: Who Talks Back? An Email Experiment. Social Science Quarterly, 91(4), 1007–1024. https://doi.org/10.1111/j.1540-6237.2010.00746.x

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